BERND KOBERSTEIN PREIS 2012
Laudatio für den Preisträger Richard Schindler von Dirk Sommer
Ich freue mich, die Entscheidung, einen Teil des Berndt Koberstein-Preises an einen Bildenden Künstler zu verleihen, begründen zu dürfen.

Ein Preis, der beim ersten Hinschauen natürlich dazu angedacht zu sein scheint, die tätige praktizierte Solidarität zu honorieren, die handfeste handlungsorientierte Hilfe für in Not oder prekäre Situationen geratene Menschen zu unterstützen. Diesen Preis an einen Menschen, der aus dem Milieu der bildenden Kunst kommt, zu vergeben, ist beim genauen Hinschauen, so meine ich, verständlich. Das mag zuerst mal ungewöhnlich erscheinen, stellen viele sich unter Kunst doch oft die klassischen Spielarten Malerei, Bildhauerei, Theater Musik, etc. vor.

Hinschauen, Sensibilität, ist aber die Vorrausetzung für die Entwicklung einer Einstellung, in der solidarisches Handeln zu einer Lebensanschauung wird. Wir müssen uns in die Lage versetzen können, unsere Umwelt, den Raum, in dem wie leben, zu erkennen. Wir müssen in der Lage sein, Bedürfnisse zu verstehen, Verletzungen zu begreifen, Geschichten zu ergründen. Geschichten von Menschen, von Gegenständen, von sozialen Entwicklungen. Wir müssen sie einordnen, müssen die Not oder auch die Freude, die hinter und in den Bildern, die uns umgeben, steckt, lesen können. Wir müssen sie in unsere Welt einordnen, und müssen aus dem Verständnis für die Dinge in unserem Leben die Notwendigkeit wachsen lassen , das Erkannte in Handeln, in Passion, und, wenn nötig, Veränderung der Situation zu transformieren .

Die Vorrausetzung für Mitleid, Passion, für solidarisches Handeln ist das Verstehen, ist die Erkenntnis der Lage, ist das Hin und nicht das Wegschauen, ist die Sensibilität für die Dinge, die uns auf unserem Weg umgeben, und seien sie noch so klein. Das ist nicht einfach, will gelernt sein und wir müssen Antennen entwickeln. Es verlangt uns etwas ab.

Solidarität ist eine kulturelle Leistung. Sehen, Hinschauen, Verstehen, ist die Präambel für solidarisches Handeln.

In diesem Bereich ist Richard Schindler unterwegs. Der Raum, in dem Richard Schindler seine Kunst entwickelt, ist immer ein sozialer Raum, ein Raum, indem Menschen leben, ihre Welt organisieren, in dem es Geschichte und Geschichten gibt, indem es Starke und Schwache gibt, in dem wir den Grund für Passion, Leiden und Mitleiden beobachten und begreifen können.

Es ist auch ein Raum, in dem es technologische Veränderungen gibt, die auf ihre Sinnhaftigkeit, ihre Verträglichkeit mit unseren Bedürfnissen und natürlich - ganz wichtig - auf ihre ästhetische Qualität abgefragt werden können. Dazu brauchen wir aber Leitfäden und Kriterien, wir benötigen Motivation, wir eignen uns einen künstlerischen Blick an. Es ist nicht mehr nur das Bild, die Plastik oder die Installation, die als Setzung durch den Künstler den Raum verändert, in ihn eingreift und so den Standpunkt des Künstlers dokumentiert.

Kunst ist Arbeit am sozialen Umfeld, ist der Versuch, bildnerische Kompetenzen zu entwickeln um den Raum, die Gesellschaft, in der wir leben, in seiner ästhetischen Qualität zu erkennen und, wenn nötig, zu transformieren. Es geht darum, Menschen in die Lage zu versetzen, mit den Mitteln künstlerischer Erkenntnisprozesse ihre Umwelt zu einem lebenswerteren Platz zu gestalten. Der Künstler wird zum Begleiter in Entwicklungsprozessen, zum Ausbilder für Mitarbeiter in sozialen Einrichtungen und Unternehmen oder zum Kommentator und Begleiter gesellschaftlicher und technologischer Prozesse.

Das kann dann dazu führen, dass ein Kunst am Bau Projekt nicht als ein vom Künstler fertiges Werk installiert wird, Kunst wird als Veränderung des Umfeldes gemeinsam mit den Nutzern, z.B. Schulkindern, entwickelt, die damit in die Lage versetzt werden, die Welt nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Aus der Schrift „sehen was ist, zeigen, was es bedeutet“ ein Zitat:

„Insofern es uns gelingt, die Orte, an denen wir arbeiten, Kindergarten, Schule und Unternehmen, in Räume der Kunst zu verwandeln, bringen wir Selbstständigkeit und Autonomie in die Einrichtungen. Denn jedes Kunstwerk ist ein Manifest der Freiheit und deren Einlösung. So entstehen Installationen, die die örtlichen Gegebenheiten aufnehmen, umarbeiten und spezifische ästhetische Erfahrungen ermöglichen.“

In einer Reihe von öffentlichen Einrichtungen können wir die Ergebnisse erfahren. Die Schulleiterin Katja Frank schreibt über ihre Erfahrung mit dieser Art des künstlerischen Eingriffs von Rita Deschler und Richard Schindler: „Ihr Blick auf die Welt ist einfach ein anderer. Er ist, wie soll ich sagen, weiter, intensiver, und versetzt uns in die Lage, Grenzen, in denen wir Nichtkünstler uns oft unbewußt bewegen, zu öffnen. Sie versetzen uns in die Lage, offen für etwas Neues zu sein.“

Schindler fragt gesellschaftliche technologische Entwicklungen auf ihre ästhetische Qualität ab. In seiner umfangreichen künstlerisch- theoretischen Arbeit „Landschaft verstehen“ (Modo Verlag) untersucht er die Bedeutung von Windrädern in der Region Schwarzwald und leistet damit einen herrausragenden Beitrag zur Akzeptanz einer Technologie, die naturverträglich und zukunftsweisend ist.

Dem Schlagwort von der „Verspargelung“ (welch ein Wort) der Landschaft setzt er eine präzise und sensible Beobachtung und Analyse der Kulturlandschaft Schwarzwald gegenüber und zeigt sehr genau und versiert ein Verständnis für technologische Entwicklung im Einklang mit den Möglichleiten der Energiegewinnung durch die Kräfte der Natur. Dabei zeigt er auch im historischen Kontext die Veränderung des Landschaftsbildes Schwarzwald. Die Arbeit an der Wand rechts von mir dokumentiert dies nur zu gut.

Ein weiteres Beispiel für die Ästhetik des genauen Hinschauens bezieht sich auf die Fundsachen, die Richard Schindler aufgespürt und fotografisch archiviert hat. Es handelt sich dabei um vergessene, verlorene Gegenstände, irgendwo auf einer Strasse von irgendwem gesehen, begutachtet und an einem exponierten Ort ausgestellt, einfach so, scheinbar ohne Ziel. Drei Fotos sehen Sie an der Wand dort drüben.

Schindler schreibt dazu in einem Text: „Verlieren ist ein Ortswechsel von da, wo etwas hingehört, wo es daheim ist, nach da, wo es fremd ist. Weil es als Fremdkörper erkannt, wurde es aufgehoben und ausgestellt: Es wurde nicht einfach nach Hause gebracht (keiner weiß, wo sein Zuhause ist), aber es ist in eine Lage gebracht, wo es bewahrt, vor völliger Zerstörung vorerst gerettet ist, von wo aus es leichter „nach Hause“ finden kann. Eine Zwischenlage, eine neutraler Ort zwischen daheim und der Fremde, zwischen Öffentlich und privat- am Zaun.“

Es geht ihm um die Beziehung zwischen Heimat und Fremde, zwischen Verlorensein und Schutz und es macht Aufmerksam und sensibel, und das mit dem Blick auf die eben schon erwähnten scheinbar kleinen Dinge.

In vielen Projekten im öffentlichen Raum, beispielhaft in Schulen und pädagogischen Einrichtungen, aber auch in Vorträgen und Seminaren arbeitet er konsequent an der Verwirklichung seines Konzeptes einer Gesellschaft als hochwertigem Lebensraum und entwickelt eine Kunst, die in ihrem innersten Wesen eine Haltung beschreibt, die solidarisch ist mit den Dingen und dem Leben.

Ein wichtiger Impuls, diese Entwicklung zu befördern war die Gründung der freien Landesakademie im letzten Jahr durch Richard Schindler und Rita Deschler. Das Verstehen der Welt durch Anschauung, die Kompetenz, diese Welt durch Künstlerische Eingriffe sinnvoll zu verändern, ist Anliegen Richard Schindlers. Die Grundlage solidarischen Handelns ist die Erkenntnis der Zusammenhänge zwischen Mensch- Gesellschaft – Natur. Der Mensch sucht seinen Platz und gestaltet ihn. In diesem Sinne, lieber Richard, ich freue mich über die Entscheidung der Jury.